New York zählt zu den bekanntesten Städten der Welt und ist als Schmelztiegel der Kulturen bekannt. Stadtteile wie „Little Italy“ oder „China Town“ sind nach wie vor ein Magnet für Touristen und Einheimische gleichermaßen. Doch an der Lower East Side im Stadtteil Manhattan gab es einst auch ein florierendes „Little Germany“.
Doch aufgrund der Slocum-Katastrophe und auf der Suche nach einem besseren Leben zogen die Bewohner nach Yorkville an der Upper East Side von New York, wo später Yorkville/Kleindeutschland (“Little Germany”) entstand.
Obwohl New York im 19. Jahrhundert die “drittgrößte deutsche Stadt der Welt” war, wissen heute nur noch wenige über diesen Teil deutsch-amerikanischer Geschichte. Wir haben mit Kathy Jolowicz, Historikerin der Yorkville/Kleindeutschland Historical Society in New York über die Geschichte von „Little Germany“ gesprochen.
Kathy Jolowicz hat seit Jahren historisches Material über die Geschichte der Deutschen in Yorkville gesammelt und bereits mehrere Ausstellungen organisiert. Darüber hinaus arbeitet Sie an einem Buch, das die Geschichte und Entwicklung dieses Viertels erzählt.
besser-deutsch.com: Frau Jolowicz, Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit der Geschichte der Deutschen in New York. Wie hat alles begonnen? Wie wurden Sie auf dieses Thema aufmerksam?
Meine Eltern kamen 1932 nach New York, um hier eine amerikanische Niederlassung für das Verlagsgeschäft unserer Familie zu eröffnen. Ich wurde dann 1939 in Yorkville/Kleindeutschland geboren.
Wer an New York denkt, denkt an Wolkenkratzer, Verkehrschaos, U-Bahn und Großstadt. Wie können sich unsere Leser „Little Germany“ in seiner Blütezeit vorstellen?
Ich bin hier aufgewachsen und kannte das Viertel nur als deutschsprachig, mit Menschen in Dirndln und Lederhosen, mit all den berühmten Tanzlokalen, Biergärten, Bäckereien, Restaurants, kleinen Läden, deren Besitzer unsere Nachbarn waren, mit Paraden und vielem mehr.
Es war wie eine große Familie. Es gab viele Zeitungen, Vereine, Fußball- und Sportclubs, Theater, Kirchen. Wie ein echtes Deutschland in der Stadt. Die Matrosen sprangen von den Schiffen und machten sich auf den Weg zur 86th Street. Es war keine Touristenfalle, sondern ein Ort, an dem sich die Menschen entspannten und bei guter Musik oder Tanz ein gutes Essen und Bier genossen.
Weihnachten in der 86. Straße war wie ein Märchen: Es war voll Leben und es war sicher. Es war ein anderer Planet. Es war nicht wirklich ein rein deutsches Viertel, sondern umfasste alle Länder des ehemaligen Preußen, deren gemeinsame Sprache Deutsch war.
Auch nach den beiden Weltkriegen suchten viele noch ihr Glück in „Little Germany“. Was führte letztlich zum Niedergang?
Als die Hochbahn in der 3rd Avenue in den frühen 50er Jahren abgerissen wurde, stürzten sich die Bauunternehmer auf dieses Viertel und begannen, die Gebäude abzureißen, in denen die Wohnungen und Geschäfte waren und ersetzten sie durch Hochhäuser mit höheren Mieten, die sich niemand mehr leisten konnte.
Große Kaufhäuser übernahmen viele der Grundstücke, auf denen die kleinen Geschäfte standen. So wurde Yorkville zwar vielfältiger aber das typisch deutsche verschwand nach und nach für immer aus den Straßen. Es ist nur noch ein weiterer moderner Teil von New York City.
Es gibt heute nur noch zwei kleine Geschäfte – und das auch nur, weil sie die Eigentümer von Gebäuden sind, die damals abseits der üblichen Wege lagen.
Im Gegensatz zu Yorkville sind Little Italy und Chinatown eher etwas für Touristen, die sich in Geschäften und Restaurants die Lebensmittel und Waren dieses Landes ansehen, während Yorkville ein Erlebnis war!
Und gibt es regelmäßige Veranstaltungen oder Aktivitäten in „Little Germany“?
Traurigerweise, nein. Die meisten Einwohner wissen nicht, was dieser Teil ihrer Stadt einst war. Nicht einmal die Parade darf über den einst berühmten Boulevard marschieren. Oh, was für ein Spaß waren diese Paraden damals. Keine Drogen, Tanzen in den Straßen bis in die Morgenstunden, dann zum Frühstück in eine der Konditoreien.
Na gut, vielleicht hatten einige ein bisschen zu viel Bier getrunken und sind mit ihrem Gesang fröhlich in die Nacht gewandert. Viele Polizisten wollten dort Wache schieben, weil es ein fröhlicher Ort war. Ich versuche, das deutsche Erbe am Leben zu erhalten und zwar über meinen Verein zum Erlernen der deutschen Sprache, den es mittlerweile schon über 32 Jahre lang gibt.
Gibt es noch eine Zukunft für “German Town”?
Yorkville/Kleindeutschland gibt es nicht mehr und es kommt auch nicht mehr zurück. Das macht mich heute noch traurig.